Digitale Elternarbeit
31/03/2021Über unsere Arbeit in der ISE24
26/04/2021„An sich zu arbeiten ist ein lebenslanger Prozess“
Katherina, heute 17 Jahre alt (Name von der Redaktion geändert), ist bereits zweimal von zuhause ausgezogen. Wir haben mit ihr über ihren Weg und ihre Erfahrungen in der Jugendhilfe gesprochen.
Liebe Katherina, in welcher Situation warst Du damals, als Du Dich entschlossen hast, von zuhause auszuziehen?
Katherina: Eigentlich bin ich mittlerweile schon zweimal von zuhause weggegangen. Das erste Mal bin ich einfach ausgerissen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich hatte ziemlichen Stress mit meinen Eltern und war der Meinung, dass man einfach nicht mit ihnen reden kann.
Irgendwann habe ich mich aber in der Schutzstelle nicht mehr wohl gefühlt und bin nach Hause zurück. Wir wurden dann als Familie eine Zeit lang durch eine Ambulante Erziehungshilfe unterstützt, die uns auch sehr geholfen hat.
Mit 16 hast Du dann beschlossen, nochmal von zuhause wegzugehen. Was waren die Gründe dafür?
Katherina: Nach wie vor gab’s fast jeden Tag Streit, Stress und Gezicke – vor allem mit meiner Mutter. Ich konnte mit meinen Eltern einfach nicht mehr reden und die andauernden Streitigkeiten haben mich vom Lernen abgehalten.
Ich habe zunächst mit meiner Therapeutin über meine Situation zuhause und meine Schlafprobleme gesprochen. Und als ich das dann bei der Schulsozialarbeiterin thematisiert habe, ist sie sofort mit mir zum Jugendamt gegangen. Von da aus ging’s dann gleich in die Schutzstelle.
Meine Mutter war nicht begeistert, als ich wieder ausziehen wollte, aber für mich war klar, ich tu‘ uns allen einen Gefallen, wenn ich gehe. Wir haben uns gegenseitig nicht gutgetan. Alle sind gestresst in die Arbeit und in die Schule gegangen und irgendwann haben meine Eltern das dann auch akzeptiert.
Wie kamst Du dann in die einzelbetreute 2er WG von NEUE WEGE, in der Du heute lebst?
Katherina: Ich wusste sehr schnell, dass ich aus der Schutzstelle raus will. Die Jugendlichen die dort untergebracht waren, hatten viel krassere Probleme als ich.
Nach etwa einem Monat habe ich mit einer Mitarbeiterin im Jugendamt gesprochen und sie hat mir eine teilbetreute Wohngruppe vorgeschlagen. Mir war gleich klar, dass ich nicht in eine teilbetreute Wohngruppe möchte, da ich einfach nicht mit vielen Mädels auf einem Raum leben kann. Und außerdem war ich dafür schon viel zu selbständig – das fanden auch die Bezirkssozialarbeiterin und die pädagogische Jugendhilfe. Aber in dem Moment war es das einzige Angebot und ich sollte mich schnell entscheiden. Mein Freund meinte damals noch: „Das ist das Beste, was Du kriegen kannst.“
Das einzige was ich noch in Aussicht hatte, war ein Vorstellungsgespräch mit den Pädagog*innen bei NEUE WEGE, und weil ich unbedingt in die Einzelbetreuung wollte, habe ich alles auf eine Karte gesetzt. Und dann hat es tatsächlich geklappt.
Deinen Bezugsbetreuer Jonas nennst Du Deinen erwachsenen besten Kollegen …
Katherina: Ja, obwohl unser Verhältnis nicht immer konfliktlos ist, ich bin halt ein impulsiver Mensch (lacht), aber ich kann mit ihm über alles reden. Oft besprechen wir die Beziehung zu meiner Mutter und er hilft er mir dann dabei, mich in ihre Situation hineinzuversetzen. Oder er baut mich auf, wenn ich mal wieder zu negativ über mich denke. Wenn ich beispielsweise nicht die Leistung erbringe, die ich mir wünsche, bin ich sauer auf mich.
Auch in Gelddingen brauche ich dringend noch seine Unterstützung – ach, ich habe echt Probleme mit Geld. Aus einem Rossmann komme ich unter 70 Euro nicht raus (lacht).
Und als Kollegen bezeichne ich ihn, weil er irgendwann mal mein Kollege sein wird, ich möchte nämlich später auch in der Jugendhilfe arbeiten.
Einen ersten Schritt hast Du ja mit der Ausbildung zur Kinderpflegerin schon getan. Wie soll’s für Dich weitergehen?
Katherina: Genau, nach meinem Hauptschulabschluss habe ich eine Ausbildung zur Kinderpflegerin begonnen, die momentan noch läuft. Danach will ich mich noch zur Erzieherin weiterqualifizieren, mein Fachabitur machen und Sozialpädagogik studieren. Ich wusste schon mit 14, dass ich später mal mit Jugendlichen arbeiten möchte, die auch einen Knacks weghaben (lacht). Dass ich selbst den Weg durch die Jugendhilfe gegangen bin, wird mir dabei helfen, mich mit Verständnis und Empathie in die Situation der Jugendlichen reinzuversetzen.
Was hast Du für Dich in den vergangenen Jahren in der Jugendhilfe mitgenommen?
Katherina: Sehr viel. Ich bin in dieser Zeit viel selbstreflektierter geworden, habe gelernt, über mein Verhalten nachzudenken und darüber, wie ich mit anderen umgehe. Mittlerweile kann ich mich auch in die Lage anderer Menschen reinversetzen und mache mir Gedanken, warum sie so handeln, wie sie handeln.
Und ich habe erkannt, dass ich ein Aggressionsproblem habe. Irgendwann ist mir deutlich geworden: „Irgendwie reagierst du ganz anders als die anderen.“ Ich habe Dinge beispielsweise sehr schnell persönlich genommen und dann mit Gegenständen rumgeschmissen, Sachen kaputt gemacht oder andere Leute angegriffen. Mittlerweile habe ich gelernt, mit meinen Impulsen und Gefühlen umzugehen. Ich fühle mich nicht mehr so schnell angegriffen, wenn man versucht mich als dumm darzustellen. Und auch mit Rückschlägen kann ich heute viel besser umgehen und rege mich nicht mehr so krass darüber auf.
Ich finde, in der Jugendhilfe lernt man Verantwortung für sich zu übernehmen. Als ich noch zuhause gewohnt habe, dachte ich immer, ich muss meine Wäsche machen, damit meine Mutter zufrieden ist. Heute ist mir bewusst, dass ich das für mich selbst mache. Und wenn ich Mist gebaut habe, dann regt sich kein anderer darüber auf, sondern ich bin selbst dafür verantwortlich und muss die Konsequenzen tragen.
Das klingt schon sehr reif und weise….
Katherina: Ja, da sind Sie nicht die erste, die mir das sagt (lacht). Aber es ist ein sehr langer Prozess. An sich zu arbeiten ist ein lebenslanger Prozess.
Was würdest Du der 15-jährigen Katherina heute raten?
Katherina: Definitiv, dass sie sich weniger über ihre aktuelle Situation aufregen, sondern sich Gedanken über ihre Zukunft machen sollte. Wenn sie beschließt, dass sie von zuhause ausziehen möchte, sollte sie sich vor der endgültigen Entscheidung noch darüber klarwerden, warum sie das möchte. Will sie ihren Eltern aus Trotz eins auswischen oder tut sie das für sich, damit sie weiterwachsen kann?
Fern von seiner Familie zu leben, ist nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt. Daher ist es wichtig, dass die Motivation aus Dir herauskommt. Denn dann wirst Du selbst in schweren Momenten dranbleiben, weil Du weißt, dass Du das für Dich tust und für niemand anderes.
Vielen Dank, liebe Katherina!
„Im Rahmen der Hilfe des sozialpädagogisch betreuten Wohnens ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen und die Konsequenzen des eigenen Handelns zu erkennen. Hier spielt die Reflexion dieses Handelns und die Fähigkeit sich in seine Mitmenschen hineinzuversetzen eine wichtige Rolle. So können sich manifestierte Konfliktmuster lösen und mögliche Lösungsansätze erarbeitet werden. Dabei unterstützen wir die jungen Menschen im Rahmen der Betreuung und motivieren zur Selbstverantwortung.“
Jonas Hildwein ist pädagogische Fachkraft in unserem Sozialpädagogisch Betreuten Wohnen,