Neue Chance in der ISE bei NEUE WEGE
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05/11/2020Kurzarrest in der Strafanstalt
„Und wenn der Mut dich verlässt, darfst du nicht vergessen, dass es da jemanden gibt, der dich liebt – und zwar nicht für das, was du bist und nicht für das, was du hast, sondern für das, was du gibst, wenn du lachst.“
A. (17 Jahre, weiblich) erzählt:
Der Einzug
Kurz zur Einleitung … Ich dachte nie, dass ich jemals hinter Gittern landen werden. Doch eine einzige Situation kann alles verändern, selbst vor Gericht. Ich muss dazu sagen, es war meine erste Gerichtsverhandlung, daher dachte ich, dass ich nicht so einfach in den Bau wandern werde, doch ich habe mich getäuscht … Für meine Richterin gilt „Wer schlägt, der sitzt!“
Also ging ich aus dem Gerichtssaal mit dem Wissen eingesperrt zu sein, mit dem Gefühl der Ungewissheit …
Es verging ungefähr ein Monat, bis die Nachricht kam, dass ich nächstes Wochenende dran bin …
Der Tag kam. Es war ein Samstag. Grau und kalt habe ich ihn empfunden, obwohl die Sonne schien. Die Tage davor habe ich mit dem Gedanken gespielt, einfach abzuhauen und nicht den Arrest anzutreten, aber ich wollte einfach einmal stolz auf mich selber sein und es mir beweisen.
Tag 1
Ich stehe vor dem Gebäude. Es ist 8:30 Uhr. Die Mauern machen mir Angst. Ich ziehe das letzte Mal an meiner letzten Zigarette, betrete den Raum und gehe durch die Anmeldung der Sicherheitsanlage und durch die zwei dicken automatischen Schließtüren. Dann sitze ich da in diesem Raum. Kalt ist er. Weiße Wände, Holzstühle mit einer Aussicht auf Sicherheitstüren und auf Fenster aus dickem Milchglas, durch das das Morgenlicht hindurch scheint. Mit mir sitzen da sechs Jungs und noch ein Mädchen. Nach einer Wartezeit von 10 Minuten, was sich für mich aber wie eine halbe Ewigkeit angefühlt, kommt ein Polizist und bittet uns, mit ihm zu kommen. Wir werden getrennt, Jungen und Mädchen. Ich komme mit dem Mädchen ins Gespräch.
Wir starren beide wie betäubt aus dem Fenster, das mit Gittern versehen ist und beobachten die Jugendlichen, die gerade Hofgang haben. Ich habe ein mulmiges Gefühl, doch ich lasse mir nichts anmerken.
Nachdem wir auch dort wieder eine gefühlte Ewigkeit, das heißt ca. 20 Minuten, warten, kommt eine total nette Polizistin. Sie nimmt einen nach dem anderen mit und durchsucht unsere Tasche und uns. Wir müssen uns ausziehen, es ist ziemlich unangenehm, doch es muss ja sein. Wir bekommen einen Schlüssel in die Hand gedrückt und einen Brief, dann kommt ein Polizist. Er gibt uns einen Messbecher, eine Plastiktasse, ein Plastikbrett, einen großen und einen kleinen Löffel in die Hand. Dazu noch ein stumpfes Messer und zwei Trockentücher und eine kleine viereckige Tupperbox. Wir gehen auf unsere Zimmer (was heißt Zimmer, Zuchtgehege trifft es vielleicht besser). Wir haben einen Schreibtisch, einen großen Spiegel, ein riesiges Waschbecken, ein passendes Bett und einen offenen Wandschrank und ein Fenster mit einem Gitter davor. Ach ja, und eine Toilette. Jetzt beginnen zwei Tage harte Realität.
Es ist 10:00 Uhr. Mein Blick direkt in den Hof, es sieht alles so kalt und dunkel aus. Meine Stimmung hat sich dem angepasst, auch mein Zimmer sieht ziemlich kühl und sieht ungemütlich aus. Also packe ich meine paar Sachen aus und versuche, es mir wohnlicher einzurichten. Das Liegen, geschweige denn das Schlafen auf dem Bett ist erst um 15 Uhr erlaubt, aber ich bin so geschwächt von den Eindrücken, dass ich ein unerlaubtes Nickerchen mache. Das Bett ist ziemlich hart und ungemütlich, aber es ist immer noch besser, als auf einem Holzstuhl zu sitzen.
Da man die Schlüssel der Polizistin schon von weitem hört, kann ich eigentlich gar nicht erwischt werden. Doch mein Nickerchen ist viel kürzer als geplant, schon um 11 Uhr vorbei. Ich höre, wie sich die Schlüssel in der schweren Metalltür umdrehten und kurz darauf bekomm ich mein Mittagessen serviert.
Es gibt zwei große Kartoffeln mit einer Blumenkohl-Hackfleisch-Karotten-Lauch-Brühe, die mehr als versalzen ist. Ich denke mir, Augen zu und durch, aber es ist echt schwer zu ertragen. Zu trinken bekomme ich nichts und Klopapier anscheinend auch nicht.
Unhygienische Zustände gibt es ja, aber im Knast? Ich erfahre, dass wir das Besteck und alles selber abwaschen müssen. Eigentlich kein Problem, aber ohne Spülmittel und mit kalten Wasser, ist das ziemlich widerlich.
Ich habe das Gefühl, die Zeit vergeht einfach nicht. Als wäre sie stehen geblieben. Ich muss mich anhand des Lichts orientieren. Die Sucht nach Zigaretten macht mir auch ganz schön zu schaffen, vor allem nach dem Essen fehlt sie. Ja, und meine Zeit verbringe ich jetzt mit Sudoku, Zeitschriften lesen und schlafen … ach ja, und Tagebuch habe ich geschrieben. Also das Ganze hier ist mein original verfasstes Knast-Tagebuch. Oh Mann, ich verblöde langsam an dieser Langeweile und an diesem komischen Gefühl in meinem Bauch. Dieses Kribbeln, dieses Adrenalin und du kannst es einfach nicht abbauen.
So, um 15 Uhr gibt es Abendessen. ABENDESSEN UM DIESE UHRZEIT?! Doch jetzt kommt die böse Überraschung. Wie ein Massentier, ungelogen, bekommst du einen Mittelfinger langen und Mittelfinger hohen Würfel Butter. Also, um es noch deutlicher zu beschreiben, sind es ungefähr zwei Packungen Butter, die man im Laden kaufen kann. Zwei faustgroße und vier Zentimeter große Wurststücke, die echt ungenießbar sind, ein bisschen Marmelade und neun Scheiben Brot. Jetzt muss man sich vorstellen, dass das für die Jungs nur das Abendessen ist, aber für die Mädels ist es auch das Frühstück.
Das heißt, dass es von der Menge her kein Problem ist, aber das Brot wird von Stunde zu Stunde härter und die Wurst von Stunde zu Stunde noch ungenießbarer. Man kann das Brot in der Früh eigentlich nur noch gegen die Wand klatschen, mehr nicht. Das ist echt eine eklige und miese Sache, vor allem, das das Brot ja schon jetzt um 15:00 Uhr eine gewisse Härte hat. So, und ab jetzt darf ich bis morgen früh um acht schlafen. Und das heißt auch noch, dass ich bis morgen früh niemanden mehr in meiner Zelle sehen werde. Genau, und einen Liter Tee haben wir bekommen, so Kamille-ähnlich. Es heißt, da ist Beruhigungsmittel drinnen, aber ich weiß es nicht. Der Strom geht um 22:00 Uhr aus und sobald die Sonne unten ist, gehen die Hoflichter an und die Gitter spiegeln sich an den Wänden, so wie all meine Fehler als Narben auf meinem Herzen.
Tag 2
Guten Morgen, obwohl, einen guten Morgen stelle ich mir anders vor. Es ist 8:00 Uhr und die Wärterin gibt mir bis 10:00 Uhr Zeit, mich fertig zu machen für den Hofgang. Eigentlich voll unnötig, da ich mich eh weder duschen kann, noch mich schminken oder sonstwas. Bin eh froh, dass ich eine Zahnbürste und eine Haarbürste habe. Um ehrlich zu sein, habe ich ziemliche Angst davor in den Hofgang zu gehen. Egal, ich gehe in den Hofgang und treffe Leute wieder, die ich kenne. Kann man sich gar nicht vorstellen, oder?
So verfliegt die Angst und ich habe einiges zu reden und die eine Stunde vergeht viel zu schnell. Ich verbringe die Zeit damit, im Kreis zu laufen und mich zu unterhalten. Es ist richtig kalt. Ich habe das Gefühl, dass tiefer Schnee läge oder wir am Nordpol sind. Nun ist es auch schon 11:00 Uhr, es gibt Mittagessen und diesmal dürfen die Mädels zusammen essen und die Jungs auch, natürlich Geschlechtertrennung. Es gibt viel zu öligen Salat, Hähnchen mit Reis und Soße und, ach genau, noch eine Suppe. Das Essen ist lecker und ertragbar, ohne Witz. Hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir noch weiter mit anderen sind und nicht alleine im Zimmer essen müssen und dabei eine weiße Wand anschauen müssen. Gegen 11:45 Uhr sitze ich wieder in der Zelle und warte auf meine Entlassung, heute Abend gegen 20:00 Uhr. Der Tag läuft ab wie gestern: Schlafen, Sudoku und Schlafen, bzw. unerlaubtes Schlafen.
Was mich total sauer macht ist, dass ich, weil ich nur zwei Tage da bin, keinen Sport machen darf. Also sitze ich in meinem Zimmer und schaue den Jungs dabei zu, wie sie eine Stunde Fußball spielen dürfen. Gegen 15:00 Uhr kommt wieder das Abendessen. Tja, wieder dasselbe Spiel. Ich höre Schlüssel, die schwere Tür öffnet sich, ein Liter Tee wir mir entgegen gedrückt und dazu gleich die neun Scheiben Brot, wieder ungefähr zwei Packungen Supermarkt-Butter und eine Banane.
Ich freue mich darüber, wie ein kleines Kind. Dazu gibt es noch ein fettes Stück grobe Leberwurst. Die Polizistin übergibt mir noch einen Zettel mit einem Facebook-Namen von einem Kerl, der mich beim Rundgang beobachtet hat. Ich sage ihr, dass sie den Zettel gleich wieder mitnehmen kann. Ich brauche doch keine Knast-Bekanntschaft, vor allem, wenn der noch länger Sitzen wird. So in fünf Stunden darf ich raus und ich werde immer ungeduldiger.
Vor lauter Vorfreude packe ich bereits jetzt meine Sachen und lege mich ins Bett, um zu schlafen. Als ich den Schlüssel höre, springe ich auf, packe meine Tasche und stehe bereit zum Auszug an der Tür.
Der Auszug:
Der Polizist bittet mich, mit ihm mitzukommen. Ich gehe nun durch sämtliche Sicherheitstüren, mit jedem Schritt der Freiheit ein Stück entgegen. Ich bekomme die Sachen zurück, die mir abgenommen worden sind und bekomme meine Bestätigung. Mit meinem Handy und einer Zigarette in der Hand stürme ich zum Ausgang, die Sicherheitstüren öffnen sich und ich lasse den Knast hinter mir. Draußen schalte ich sofort mein Handy an und entzünde mir eine Zigarette. Noch ein bisschen mit den anderen quatschen, die auch entlassen worden sind und dann schnell weg von hier. Dieses negativ Gefühl, davor oder drinnen zu sein, will ich nie wieder spüren. Das Ganze war mir eine ziemliche Lehre, die ich keinem wünsche …
Heute danke ich meiner Richterin, dass sie mir die Augen geöffnet hat und dass ich daraus gelernt habe, auch wenn ich an meiner Entscheidung, dass ich damals zugeschlagen habe, nichts ändern werde. Doch die Zeit drinnen hat mich zum Nachdenken gebracht, was die wichtigen Dinge im Leben sind und was ich lieber in meiner Vergangenheit lassen soll. Die zwei Tage werde ich nie vergessen …
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der gedruckten Ausgabe von „New Ways“, der Jugendzeitung von NEUE WEGE veröffentlicht worden.
Foto: Kristina Tripkovic on Unsplash